Allmendstrasse & Gerber Käse Thun

Bahnübergang mit Rollbarriere an der Allmendstrasse bei der Kaserne 1905 - mit Bahnwärter, Kutsche und PassantenUm 1810 wurde die schurgerade Allmendstrasse, als Hauptzugang zum Thuner Westamt angelegt, welche, orientiert an der Kirchturmspitze, von der Allmendbrücke bis zum Zollhaus im heutigen Lerchenfeld führt. 1860 wurde die neue Kaserne gebaut. Von da an standen links an der Allmendstrasse alle  Gebäude des Waffenplatzes und der Ausbildung und rechts die der Bundesbetriebe wie die Munitionsfabrik oder die Konstruktionswerkstätten, wo eine zeitlang auch Flugzeuge gebaut wurden. Beim Bau des ersten Bahnhofs 1859, wurde die Allmenstrasse durch die Bahnline durchtrennt. So musste ein Bahnwärter bei durchfahrenden Zügen eine eine Rollbarriere zu- und aufschieben (Siehe Bild oben rechts). Später führte zusätzlich eine Fussgängerüberführung aus Holz über die Bahngeleise wohl auch deshalb, um die Soldaten pünktlich vom Bahnhof in die gegenüberliegend Kaserne zu führen. 1923 wurde dann in einem aufwändigen Verfahren die Bahnunterfühung Allmendstrasse gebaut.

1870 bezog die Kantonalbank ihren Sitz im 1865 erstellten Kopfbau zwischen Scheiben- und Allmendstrasse. Damals noch als Mieterin im 1. Stock. Im gleichen Bau an der Allmendstrasse 2 befand sich ausserdem das Café Du Pont (heute Restaurant La Barca). Die Bank zog dann 1905 ins Oberbälliz und befindet sich heute auf dem Maulbeerplatz.

An der Allmendstrasse 10 lud das Café Berna zum Kegeln oder Billardspielen ein. In den 20-er Jahren bis 1947 wurden im kleinen Saal im 1. Stock die Sitzungen der Arbeiter-Union abgehalten. Danach zogen die Gewerkschafter in den Freienhof. Ab 1975 betrieben verschiedene Auslandsorganisationen vorwiegend italienischer oder spanischer Herkunft in Eigenregie das sogenannte Ausländerhaus. In der Allmendstrasse 8 befindet sich seit 1984 die Notschlafstelle.

Im Herbst 1970 wurde an der Allmendstrasse 14 das erste Jugendhaus von Thun eröffnet. Ab 1986 befindet sich dort das Kulturlokal Café Bar Mokka. Links daneben befand sich an der Allmenstrasse 16 das Restaurant Alpenrösli, welches von 1990 bis 2002 als genossenschaftliche Kulturbeiz geführt wurde. (heute Bistro, Boutique Alpenrösli und Fundbüro).

Im Jahr 1860 kaufte Walter Gerber vom gleichnamigen Langnauer Käsehaus zwischen der damaligen Bahnhofstrasse, der heutigen Gewerbestrasse und der Allmendstrasse ein Grundstück. Gerber war ein innovativer Geist. Inspiriert vom Berner Professor Robert Burri, der die konservierende Wirkung von Natriumcitrat auf Lebensmittel untersucht hatte, pröbelte er in seinem Versuchslabor im ersten Stock der Thuner Villa Gerber wie man Käse haltbar machen könnte. Am 18. Juli 1913 war es dann so weit: Beim Zusammenfügen von zwei Lösungen bildete sich eine cremig gelbe Masse. Fügte man dieser geriebenen Emmentaler bei, entstand Käse, der sich schmelzen liess, gleichzeitig aber auch haltbar und bekömmlich war. Der Schmelzkäse war geboren. Unter der Bezeichnung «Fleur des Alpes» wurde er an der Schweizerischen Landesausstellung 1914 mit der Goldmedaille ausgezeichnet und in einer „tropensicheren“ Blechverpackung der Firma Hoffmann produziert. Seit 1936 gibt es die Gala-Chäsli und seit 1960 das Fertigfondue.

Die von Alfred Lanzrein im Heimatstil entworfene, um 1910 an der Allmendstrasse gebaute zweigeschossige Produktionsanlage wurde 1952 um einen weiteren viergeschossigen Trakt mit einer nüchternen Rasterfassade ergänzt. Der langgezogene Gebäudetrakt bildete bis zum Abbruch im Juli 2012 ein mächtiges Gegenüber zu den feingliedrigen Stadtvillen auf der Nordseite der Allmendstrasse. Im Jahr 1966 erfolgt ein weiterer moderner Neubau entlang der Bahnlinien, wobei allerdings das Eckhaus aus dem Jahr 1875, der ehemalige Schweizergarten und das spätere Café des Alpes inklusive der dazugehörenden Pension und der Gerber-Bar abgebrochen werden musste. Aus der Ära Gerber Käse blieben bis heute nur zwei Bauten erhalten: Die 1865 erbaute neoklassizistische Villa Gerber mit dem markanten Kopfbau am Guisanplatz  und das repräsentative, wohlproportionierte ehemalige Geschäfts- und Lagerhaus an der Gewerbestrasse 4, erbaut von Alfred Lanzrein 1920 für die Samenhandlung Schweizer & Cie. Es beherbergt heute das Boutique-Hotel und Restaurant Spedition.

Im 1810 erstellten ehemaligen Restaurant Neuhaus, servierten bis 2018 leichtbekleidete Damen im «Hooters» Fast Food an Soldaten und andere hungrige Kundschaft. Legendär allerdings wurde die Liegenschaft an der Allmendstrasse 32 in den 1960er- bis 1990er-Jahren, als die «Thuner Lottobeiz»: Unter dem damaligen Wirt Hans-Peter Schüpbach polierten im Restaurant Neuhaus fast 50 Thuner Vereine mit den Spielen um Speckseiten und Goldvrenelis ihre Kassen auf; und unter der Woche füllten zig Rekruten ihre hungrigen Bäuche mit Überdosen an «Schnipos mit Pommes».

Jean Kölla absolvierte die Fotografenlehre bei seiner in Rapperswil. Er bildete sich in Paris weiter und kam um 1886 nach Thun, wo er im Café National (siehe unten), vis-à-vis der Kaserne ein eigenes Atelier eröffnete. 1893 heiratete er Marguerite Hausheer aus Zürich, die dem bekannten Basler Geschlecht Merian entstammte und begütert war. 1895 zog er in den Neubau «Haus zur Schönegg» bei der Bahnüberführung Allmendstrasse. Um 1902 zog Jean Kölla nach Bern, wo er an der Beundenfeldstrasse 31 für den Rest seines Lebens blieb. Jean Kölla war mit einem speziell für fotografische Zwecke augerüsteten Dreirad unterwegs, das gleichzeitig als Kamerastativ diente. Ausserdem besass er 1897 als Autonarr das erste Automobil in Thun, ein Benz Patent-Motorwagen Victoria und fuhr damit weit in der Region herum um zu fotografieren. Sein Photoatelier glich einer Theaterbühne: Baumstämme aus Papiermaché, knorrige Palisaden, Pflanzenranken und bemalte Hintergründe sorgten für die entprechende Atmosphäre. Für Karten, die er farbig kolorierte, mussten seine Kinder in Trachten, mitundter neben einer lebenden Ziege oder einem Berhardinerhund posieren.

Der symetrische Souvenierpavillon Café National befand sich an der Allmendstrasse 36, sicher nicht zufällig, genau vis-à-vis der Kaserne Thun. Erbaut 1870 vom bekannten Architekten Eduard Davinet, besass der Häuserkomplex einen Coiffeursalon, ein Photoatelier sowie rund 10 Shops für Militarias,  Sackmesser, Süssigkeiten, Zeitschriften, Papeterie- und Tabakwaren und natürlich Postkarten. Im Obergeschoss gab es Gesellschaftsräume wie Billardzimmer und auf der Rückseite eine Trinkhalle, wo man auch mit eigenen Biermarken bezahlen konnte. Am Morgen des 3. April 1928 kam es im Ostflügel des Holzkomplexes, durch ein mit einem Feuerzeug spielenden Kind, zu einem Brand. Dank der raschen Hilfe von Feuerwehr und Militär, war das Feuer in einer halben Stunde gelöscht. Das Dach und der Estrich mit zwei Zimmern jedoch wurden ausgebrannt. Der rund 60 Meter lange Gebäudekomplex wurde im November 1989 komplett abgerissen. Heute befindet sich an dieser Stelle das Regionalgefängnis Thun.

Unterhalb dem Café National befand sich eines der ältesten Bäder von Thun, das Allmendbad. Das 1866 eröffnete Bad besass einen Garten, eine Trinklaube, zwei Kegelbahnen und sieben Badezimmer mit je zwei bis drei Badewannen, in denen nach Wunsch warm oder kalt gebadet werden konnte. Das Wasser, das stets völlig klar, aber unbedeutend sei, wurde von der Aare hergeleitet. An zwei Tagen pro Woche konnte man sich auch hier schröpfen lassen, ausserdem lud der Wirt regelmässig zu Tanzveranstaltungen ein. 1880 brannte das Allmendbad nieder. Heute befindet sich dort die Coop-Tankstelle.

Ab 1959 logierte neben der Dufourkaserne jeweils der Zirkus, welcher vorher im Grabengut seine Zelte aufschlug.

Quellen: TT 03.11.2018, TT 25.09.1987, Jungfrauzeitung 16.10.2020, OT 04.04.1928, Der Bund 04.04.1928, Thunersee linke Seite von Markus Krebser, Das Berner Oberland und seine Fotografen, INSA, Die Stadt und das Wasser von Anna Bähler, Diverse

Nicht datierte Aufnahme einer Strassenpartie an der Allmendstrasse (gezeigt Thun)

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