Gwatt & Schoren

Gwatt wurde erstmals 1296 als Wat urkundlich erwähnt. Der Name deutet auf eine Sumpflandschaft hin, durch die man «waten» musste, wobei das führende „G“ eine Mehrzahlbezeichnung darstellt. Der ganze tiefergelegene Teil des Ortes war ursprünglich versumpft und überschwemmungsgefährdet. Heute ist von den Feuchtgebieten nur noch das Gwattlischenmoos übriggeblieben, welches unter Naturschutz steht.

Das Dorf bestand anfänglich vor allem aus Einzelhöfen am Strättlighügel. Mit der zunehmenden Entsumpfung und dem Bau einer neuen Durchgangsstrasse begann sich die Dorfentwicklung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Richtung See zu verlagern. Im 20. Jahrhundert siedelte sich Industrie an und es entstanden neue Wohnüberbauungen, durch welche das Dorf schliesslich mit der Stadt Thun zusammen wuchs.

Gwatt gehörte zur Gemeinde Strättligen, welche 1920 zu Thun eingemeindet wurde. Am uralten Oberlandweg auf dem Strättlighügel steht auf den Trümmern der 1332 zerstörten Burg Strättligen der 1699-1700 erbaute Pulverturm mit Ringmauer. Er diente von 1701 bis 1872 als Pulver- und Munitionsmagazin.

Gwatt liegt am alten «Oberlandweg», der von Thun über Scherzligen ins Oberland führte. Die heutige Gwattstrasse vom Dürrenast bis ins Gwatt wurde 1822 mit der neuen Simmentalstrasse (auch neue Oberlandstrasse genannt) als Poststrasse durch die Kanderschlucht bis zum Kapf (Reutigen) gebaut. Die Gwattstrasse folgt einem holprigen Saum- und Karrweg, der auf einem alten Wellenbrecher (Damm) angelegt war und das dahinterliegende Kulturland vor Überschwemmungen vom See her schützte. Entsprechend der Wichtigkeit von Frutigen für den Thuner Marktplatz hiess diese Landstrasse vom 18. bis ins 20. Jahrhundert hinein von Thun bis Gwatt «Frutigstrasse».

Unterhalb der Burg, auf einer Terrassenebene, in dem seit 1954 entstandenen schönen Wohnquartier «Strättlighügel», stand seit ältesten Zeiten das Burg- oder Strättliggut mit Landsitz (Villa) und Gutshof auf römischen Überresten. Die Villa mit einigen Wirtschaftsgebäuden wurde 1959 abgebrochen. Unterhalb der Burg, bei den noch bestehenden Fundamentmauern stand die Wirtschaft «Zum Strättligturm» mit einer Schmiede. Das ganze Haus war reich mit Schnitzereien und Texten in bezug auf die Herren von Strättligen verziert. Unter dem Vordach der Hauptfassade stand eine Holzstatue von Rudolf von Strättligen mit Spiess und Wappenschild aus dem 17. Jahrhundert. Beim Abbruch des Hauses um 1918 verschwand die Statue spurlos.

Am Strättlighügel zwischen Schoren und Gwatt soll noch im letzten Jahrhundert eine alte Mine, das «Bergknappenloch» vorhanden gewesen sein. Zeitweise war auf der Gwattegg eine Dingstatt (Richtstätte). Auf der Brüggmatt anstelle von Haus Nr. 4, war eine Ziegelhütte, in der schon die Römer Ziegel gebrannt haben sollen. Hier wurden noch Ziegelsteine fürs Rathaus gebrannt. Am ältesten ist der herrschaftliche mittelalterliche Wohnstock «Steinhaufen». Der Kern geht wohl auf eine römische Wegwarte zurück. Als die Burg zerstört wurde, setzten die Strättliger zur Verwaltung des Besitzes unterhalb der Kanderbrücke vermutlich einen Vogt (Majordomus) ein, der hier wohnte. Anlässlich der Renovation von 1983 zeigte sich eindeutig, dass im Innern eine Kapelle war. Nach Überlieferung soll das Haus auch als «Siechenhaus», das heisst als Absonderung für Patienten mit ansteckenden Krankheiten, gedient haben. Am unteren Teil des Grenzweges stand bis 1980 ein Brunnen mit einem besonderen Wasser, das früher zu Heilzwecken verwendet wurde. Vermutlich hatte es dieselbe Zusammensetzung wie das der Quelle für das Bad «Glütsch» in Zwieselberg.

Seit alten Zeiten gab es in Gwatt auf Strättliger Boden die Untere Gwattmühle Rainweg 8 und die Obere oder Hintere Gwattmühle Mühleweg 2 auf Spiezer Boden. Beide Mühlen enthielten eine «Rybi» (Reibe) und «Stampfi» (Bläui). Die Ribigasse erinnert noch an das Gewerbe. Bei der Obern Gwattmühle gab es noch eine Schlyffi (Schleife). Nach der Kanderableitung versiegten die Quellen, und die Räder standen still. Nachdem die alte Mühle 1604 abbrannte, wurde 1605 eine neue gebaut, deren Kern heute noch vorhanden ist. Das in der Nähe stehende «Tätschhaus» (Gwattstutz 4) dürfte aus derselben Zeit stammen. In der Oberen Gwattmühle liefen zwei Wasserräder trocken. Nachdem später auf der Brüggmatte ein Bächlein vom Glütschbach zur Ziegelhütte geführt wurde, kam beim Steinhaufen eine Quelle mit einem «mannsbeindicken» Strahl heraus. Dieses Wasser wurde bis ins letzte Jahrhundert mit einer Holzrinne zur Mühle geleitet. Die Wassermenge reichte für ein Rad. Der Kern des heutigen Gebäudes stammt von 1661.

Die Bäckerei unten am alten Gwattstutz (Spiezstr. 61) wird schon seit fünf Generationen von der Familie Linder geführt. Im Bereich des alten Gwattstutzes gab es alles, was zur Stoffherstellung und Bekleidung notwendig war. Im Gasthof «Rössli», erbaut um 1820, gab es im Dachstock einen «Stoffladen». Auf dem Vorplatz befand sich die erste öffentliche Wagen-Waage (Lastwaage) für ganz Strättligen. Die neue ist beim Rössli-Parkplatz. In den vor längerer Zeit abgebrochenen alten fünf Häusern an der Gwattstrasse zwischen Gwattstutz und Mösliweg waren zwei Schuhmacherwerkstätten und eine Bäckerei (Gasser).

Bei ihrer Einmündung in die alte Frutigstrasse steht seit ältesten Zeiten ein Gasthof. Der heutige Landgasthof «Lamm» wurde um 1848 gebaut. Im Parterre waren eine Metzgerei und eine Bäckerei. Nachdem der Staat Bern den Postdienst 1675 den Ratsherrn Beat von Fischer, einem Vorfahren des späteren «Bellerive»-Besitzers, übertragen hatte, diente ein Schreibsekretär in der Gaststube als erste Postablage für ganz Strättligen. Mit dem Bau der neuen Oberlandstrasse wurde 1822 im Doppelhaus gegenüber dem «Rössli», in dem sich eine Schmiede befand, das erste Postbüro von Strättligen eröffnet. Die Reiterpost kam so anfänglich zwei mal die Woche ins Berner Oberland. Das Gebäude wurde 1933 wie gleichzeitig und später noch andere Häuser in Gwatt, wegen der Verbreiterung der Gwattstrasse abgerissen. Ende des 19. Jahrhunderts kam die Post wieder ins «Lamm» zurück, bis dann neben der Einmündung «Im Seewinkel»/Gwattstrasse. im Haus Bähler, ein Postbüro eingebaut wurde. Auch da hatte die Post keine Bleibe und wechselte näher gegen die Bettlereiche ins Haus 109 an der Gwattstrasse. Von 1652 bis 1798, während der Zeit, als Strättligen zum Oberamt Oberhofen gehörte, befand sich die Gerichtsstube für Strättligen im «Lamm». Das Wirtshaus hiess damals noch «Weisses Kreuz». Den Namen «Lamm» erhielt die Wirtschaft von den Schafherden, die vor der Eröffnung der Bahn 1893 in neben dem Wirtshaus nächtigten, wenn sie auf die Alpweiden zogen oder heimkehrten. In Pestzeiten wurde der Thuner Markt beim «Lamm» abgehalten. Neben dem «Lamm» in der heutigen Gartenwirtschaft war jahrelang eine Schmiede und gegenüber an der bisherigen Stationsstrasse, in der ehemaligen «Lamm»-Scheune, 1933 abgerissen, befand sich eine Wagnerei. Gegenüber der Einmündung der Stationsstrasse (neu Strättligenstrasse) in die Gwattstrasse steht heute noch die letzte Dorfschmiede, die seit fünf Generationen von der Familie Wenger geführt wird.

Campagne Bellerive 1780 (zum Vergrössern anklicken)

Die spätbarocke Campagne Bellerive ist ein ehemaliger Landsitz der im Alten Bern einflussreichen Patrizierfamilie von Fischer. Der Typus eines ursprünglich nur in der warmen Jahreszeit bewohnten eleganten Herrenhauses mit zugehörigem Bauerngut und Nebengebäuden war im 17. und 18. Jahrhundert bei der Oberschicht sehr beliebt. Neben ihrem Stadthaus in Bern liessen sich ihre Vertreter in einem Umkreis von rund 30 Kilometern um die Stadt Bern gerne solche Zweitwohnsitze auf dem Land bauen. Die Campagne Bellerive wurde 1763 als südlichster derartiger Sommersitz errichtet. Bauherrschaft waren Emanuel Friedrich Fischer (1732–1811) und dessen Ehefrau Johanna Katharina, geborene von Wattenwyl (1742–1808).  Bis 1882 war die Campagne im Besitz der Erbauerfamilie. Von 1898 bis 1921 gehörte es der Familie von Bonstetten.

1929 kam «in der Enge» noch die Asylbesitzung «Asyl Gwatt», mit den Häusern Gwattstrasse 115 und 117 samt Umschwung dazu. Hier liess von Bonstetten seine Gärtnerei mit Remise und Treibhaus anlegen. In beiden Häusern wurden Dienstwohnungen eingerichtet. Das Asyl wurde an die Thunstrasse im «Glockenthal» (Steffisburg) ins «Schönbühl» (Jud-Gut) verlegt, wo es heute noch geführt wird. Das «Greisen-Asyl», wie das «Asyl» offiziell hiess, im Haus 117, war eine Stiftung von 1872 des ehemaligen Schadaubesitzers Jean Frederic Albert de Rougemont und seiner Mutter. Nach testamentarischer Bestimmung ging das Asyl samt Liegenschaft, Mobiliar und Betriebskapital 1906 an das Regionalspital Thun über. Im Jahr 1917 konnte das Nachbarhaus 115, in dem bis dahin eine Nagelschmiede war, dazugekauft werden. Der mächtige Gutshof (Lehenhaus) zum Bellerive, ein repräsentativer Wohn- und Ökonomiebau dürfte um 1757 auf einer Brandruine erbaut worden sein.

1922 kaufte Betty Lambert (1894-1969), bis 1933 die Frau von Jean-Jacques von Bonstetten, das gesamte Landgut. Bis 1960 gehörte ihr als letzte private Besitzerin das Ensemble, das heute auch als Bonstettengut bekannt ist. Bettys Vater war Léon Lambert, ein Financier von König Léopold II und amtshöchster Jude von Belgien. Ihre Mutter, die Künstlerin Zoé Lucie Betty de Rothschild, kam aus Paris. Betty Lambert, geschiedene von Goldschmidt-Rothschild und geschiedene von Bonstetten, gelangte über Brüssel nach Frankfurt am Main 1922 in die Schweiz. Vor und während des Zweiten Weltkrieges wirkte die Baronin als Fluchthelferin und ihre Adresse als geheime Drehscheibe im Widerstand gegen Hitler. Sie war die wohl international vernetzteste Jüdin in der Schweiz. Auf ihre Initiative geht der seeseitige englische Landschaftspark zurück, der ab 1930 angelegt wurde. Überhaupt trägt das gesamte Anwesen noch heute ihre Handschrift. Seit 1960 befindet sich die Campagne je hälftig im Eigentum der Stadt Thun und des Kantons Bern. Mit der Musikschule Region Thun (MSRT) wurde 1974 eine ideale Mieterin für das Herrenhaus und die Nebengebäude gefunden.

Die alte Bettlereiche gehörte der Burgergemeinde und ist mit der Schoreneiche 1860 bis 1870 nicht dem Eisenbahnbau zur Herstellung von Schwellen geopfert worden, wie sonst fast alle Eichen der Umgebung. Rechts neben der Eiche stand lange die  ehemalige Wirtschaft des Bahnhof Scherzligen. Das ehemalige Bahnwärterhäuschen steht noch neben dem Gwattbahnhof.

Das erste Schulhaus für ganz Strättligen wurde im Jahre 1730 bei der Schoreneiche als «Gemeinwerk» mit Holz aus dem Burgerwald gebaut. Es war ein zweistöckiges Gebäude mit einer grossen Schulstube im Erdgeschoss und einer Wohnung im ersten Stock. Damals wurde im Sommer ein Tag in der Woche Schule gehalten und im Winter täglich sechs bis sieben Stunden. Hinten, neben dem grossen Zylinderofen, stand ein Webstuhl, wo der Lehrer in der Freizeit, aber oft auch während des Unterrichts wob. Bis 1840 mussten die Kinder von ganz Strattligen nach Schoren in die Schule. Von 1616 bis 1827 bestand für die ganze Gemeinde in Schoren eine Klasse. Im Jahr 1827 wurde das Schulhaus abgerissen und in dreijähriger Arbeit durch einen Neubau ersetzt. Im Jahr 1871 wurde das Schuhlaus um ein Geschoss aufgestockt, um eine dritte Klasse zu eröffnen.

Mit der Eröffnung der linksufrigen «Thunerseebahn» 1893 (heute BLS), zwischen Scherzligen und Därligen, erhielt Gwatt einen Bahnhof. Er wurde 1913 mit dem Ausbau der Strecke erweitert. Mit dem Bahnanschluss in Gwatt hielt 1918 mit der Gründung der Firma Nobs & Cie die Industrialisierung von Strättligen Einzug. Die Maschinenfabrik fiel 1993 der weltweiten wirtschaftlichen Flaute zum Opfer. Im Jahr 1963 bezog die Firma Gebr. Hoffmann AG ihre neue Fabrik an der Eisenbahnstrasse, die sie 1988 erweiterte, und schliesslich wurde die ganze Firma von Thun nach Gwatt verlegt. Im Schoren, an der C.-F.-L.-Lohner-Strasse entstanden zahlreiche Farbikationsanlagen wie 1971 die Skifabrik Rebell, die bis in die 80-er Jahre einen Ski herstellten, der komplett aus Hartplastik bestand. Oder 1977 die Duschkabinen-Fabrik Duscholux, mit dem Sitz einer weltweit tätigen Holding, welche dem bislang reichsten Thuner Heinz Georg Baus (1934 – 2016) gehörte. Sein Vermögen wurde auf 4 bis 4,5 Milliarden Franken geschätzt. Mit diversen Steuertricks zahlte er in Thun allerdings nicht einmal 5000 Franken Steuern.

Auch in Gwatt begann um 1950 eine starke Wohnbautätigkeit. An der Gwattstrasse wurden vorwiegend Mehrfamilienhäuser und Wohnblöcke gebaut, während am Strättlighügel zahlreiche Einfamilienhäuser erstellt wurden. Im Jahre 1956 erhielt Gwatt in der Obermatt eine Kirche. 1930 wurde auf dem Kanderbett (Kanderdelta) der Grundstein zur Reformierten Heimstätte – neu Gwatt-Zentrum – eines reformierten Bildungs-, Kurs- und Tagungszentrums mit Hotel und Restaurant gelegt. 1957 musste zur Erweiterung des Schorenschulhauses auf der Obermatt ein neues Schulhaus gebaut werden. 1959 wurde die Stiftung «Wohn- und Arbeitsheim für körperlich Schwerbehinderte Gwatt», die heutige WAG, gegründet. An der Hofackerstrasse 20 produzierte die Firma Kandahar von 1963 – 2021 Winterschuhe mit Lammfell und Korkisolation.

Karte Gwatt und Schoren von 1795 – Geometrischer Plan – Bild: Staatsarchiv Kanton Bern
(die heutige Gwattstrasse hiess damals noch Gwattstrasse)

Karte Gwatt und Schoren 1795 (zum Vergrössern anklicken)

 

Quellen: Strättligen von Louis Hänni, TT 17.01.1998, TT 29.03.2021, Jungfrauzeitung 27.06.2022, Die Campagne Bellerive. Das Bonstettengut in Thun-Gwatt, Broschüre Campagne Bellerive, Blick 19.10.2014, BZ 20.05.2016, Diverse

Campingplatz Gwatt

Ein Gedanke zu „Gwatt & Schoren

  • 24. November 2023 um 14:44
    Permalink

    Sehr schön diese Bilder. Ich mag mich noch gut ans Gwatt erinnern. Gegenüber dem „Koni“ (Coop) und dem Rest. Lamm entstand ca. 1980/82 die Überbauung im Seewinkel, wo ich aufgewachsen bin und im Schulhaus Obermatt bis 1991 zur Schule ging. Ich war noch sehr klein und kam kurz nach dem Umzug in den Kindergarten Obermatt zu Frau Gross.

    Rechts neben dem Hufschmied Wenger war einst noch die Metzgerei Fivian. Ich habe gesehen, das diese vorher noch im Dürrenast war.
    Meine Mutter ging oft mit mir ins Tea Room Domino (Heute Routs 66). Da gab es noch eine Mini- Golf Bahn und ein 1-Kind Karussell „einen Fliegenpilz“.

    Es ist schön in alten Erinnerungen zu schwelgen. Danke für diese Bilder.
    Mit freundlichen Grüßen Nicole K.

    Antwort

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.