Selve Thun
Die Metallwerke Selve Thun
Die Illustration unten 1900 zeigt das Areal der Firma «Schweizerische Metallwerke Selve & Co., Thun», das im Westen der Stadt Thun zwischen Aare und Eisenbahnlinie ein weiträumiges Gelände umfasste.
1895 gründete der Industrielle Gustav Selve (1842–1909) in Thun die Schweizerischen Metallwerke Selve & Co. Die Firma umfasste vorerst 15 Arbeitskräfte. In den ersten Jahren des Bestehens arbeitete das Unternehmen fast ausschliesslich für die Eidgenossemschaft, vorab für die Munitionsfabrik Thun. Nach drei Jahren wurde mit der Herstellung von Telefondraht begonnen, nach fünf Jahren mit derjenigen von Aluminium-Halbfabrikaten. Im Jahre 1905 konnten bereits 200 Arbeiter beschäftigt werden. Im 2. Weltkrieg beschäftigte die Fabrik die stattliche Zahl von rund 1400 Mitarbeitenden. Die Selve mauserte sich zu einem der bedeutendsten Industrieunternehmen des Berner Oberlandes und stellte Produkte wie diverse Drahtarten, Aluminium- und Buntmetallfabrikate her.
1905 versammelten sich rund 200 Arbeiter im Hotel Emmental, um sich gegen die schlechten Arbeitsbedingungen in der Fabrik zu wehren, was später den bis dahin grössten Streik in Thun nach sich zog.
Die einflussreichste und bekannteste Unternehmerin Thuns war Else von Selve-Wieland (1888–1971). Sie wuchs in Deutschland und Winterthur in der Industriellenfamilie ihrer Eltern auf. 1910 heiratete sie Walther Selve, der Sohn des Firmengründers Gustav und hatte mit ihm sechs Kinder. Sie zog 1924 nach Thun und war Mitbesitzerin der Metallwerke. 1933 übernahm sie die Firma allein, 1940 liess sie sich von ihrem Mann scheiden. Ein Direktor führte die Geschäfte; sie war aber als Besitzerin oberste Chefin und arbeitete in einem Büro im Verwaltungsbau an der Scheibenstrasse. Dabei liess sie es sich nicht nehmen, an einem jährlichen Festakt allen Mitarbeitenden, die ein Dienstjubiläum feierten, Geschenke zu verteilen. Else von Selve war nach dem Zweiten Weltkrieg die reichste Person in Thun und besass im Schadaupark eine Villa, wo sie alleine bis zum ihrem Tod lebte.
Am 3. November 1945 feierten die Schweizerischen Metallwerke Selve & Co. ihr 50-Jahr-Firmenjubiläum. «Ihr, die diese Feier der 50 jährigen Bewahrung miterleben dürft, gebt diesen guten Geist der Einigkeit allen denen weiter, die Euch an Eurem Arbeitsplatz einmal ablösen werden.» Mit diesen Worten blickte der damalige Direktor Hermann Stamm optimistisch in die Zukunft. «Denn dann dürfen wir getrost sagen, dass die Generationen halt kommen und gehen. Doch das Werk bleibt. Segne Gott das Selve-Werk!». An diesem Tag wurde auch auch die Blaskapelle Selve, damals als Werkmusik gegründet. Es gibt sie heute noch!
Wandbild von 1920. Zum Vergrössern Bild anklicken
Am 24. Juli 1971 wurden die Beiztröge des Draht- und Stangenzuges durch einen frisch eingestellten Mitarbeiter gereinigt, den man vermutlich für diese Arbeit nicht genügend instruiert hatte. Durch einen nicht bekannten und den Plänen nicht eingezeichneten Überlauf gelangte die kupfersalz- und schwefelsäurehaltige Lösung in die öffentliche Abwasserleitung, die unterhalb des Elektrizitätswerkes in die Aare mündete. Innerhalb von vier Stunden starben mehr als 12000 Fische. Das Abwasser verschmutzte die Aare so stark, dass praktisch der gesamte Forellenbestand zwischen Thun und Bern einging. Umweltschützer und Fischereiverbände organisierten danach einen Protesttag, an dem sie 5000 gelbe Ballone die Aare runter schwimmen liessen um so die Giftwelle zu symbolisieren. Der damals zuständige Fabrikationsleiter wurde als Verantwortlicher durch das Gericht verurteilt. Er musste eine Busse von CHF 2500.00 bezahlen.
1979 wurde die Firma vom Financier Werner K. Rey erworben und 1985 schlossen sich die Selve Thun, die Metallwerke Boillat Reconvilier und die Metallwerke Dornach zum Konzern „Swissmetall“ zusammen. 1991 wurde wegen Überkapazitäten beschlossen, das Werk Thun zu schliessen. Die Produktion in der Thuner Selve wurde 1993 eingestellt. Anschliessend fanden im Bezug auf das sehr grosse Gelände diverse Handänderungen statt. Während diesen Jahren wurden die alten Fabrikgebäude zeitlich beschränkt zwischengenutzt. So fanden sich dort Gaststätten, Kleingewerbe, Sporthallen, Kulturlokale, Übungslokale, Lagerräume, Schulungsräume, Dienstleistungsbetriebe und Unterhaltungslokale. Das Selveareal stellte eine vor allem bei jungen Leuten beliebte Partymeile dar. Bilder aus dieser Zeit unter folgendem Link.
2008 begann dann der Abriss der alten Fabrikanlagen und die Neuüberbauung, welche aus dem ehemaligen Fabrikareal ein neues Quartier entstehen liess. Darauf befinden sich heute eine Alterssiedlung, Eigentumswohnungen, Mietwohnungen, Gebäude der kantonalen Verwaltung und Gewerbebetriebe, sowie eine Parkanlage an der Aare. Von den alten Fabrikationsgebäuden blieben einzig der sogenannte Winkelbau und die Fabrikationshalle 6 sowie das 1947 neu erbaute Verwaltungsgebäude an der Scheibenstrasse bestehen, welche bis heute an die Firma Selve erinnern.
Quellen: Aus Selve – 750 Jahre Thuner Stadtrechte, TT 03.09.1971, TT 25.10.1971, Selve John Peter Haller, Thuner Stadtgeschichten, Diverse
Film über Selvearbeiten im letzten Betriebsjahr 1992 von Roland Petschen
Das ehemalige Selveareal im Jahr 2012 (zum Vergrössern Bild anklicken)