Von der Rappenfluh zur Rabenflue

Die Rabenflue oberhalb von Thun ist als wunderbarer Aussichtspunkt, welchen man von Thun nach einer stündigen Wanderung durch den Wald erreicht, bekannt.

Planausschnitt von 1910 – in der Bildmitte ist noch deutlich die Bezeichnung “Rappenfluh” zu sehen.

Auf alten Plänen und Zeitungsartikeln bis um 1949 wird die Rabenflue jedoch noch als Rappenfluh bezeichnet (siehe oben), was etwas komisch klingt, denn schwarze Pferde haben in diesem unwegsamen Gelände wohl nie geweidet. Nein, die Bezeichnung stammt vom Waldrapp, ein gänsegrosser schwarzer Ibisvogel mit einem markanten roten und sichelförmigen Schnabel, welcher gerne in Wäldern lebt und in Felswänden brütet.

Der Waldrapp hatte im Orient eine besondere Bedeutung als heiliger Vogel. Er wurde von den alten Ägyptern, Griechen und Römern als Symbol für Fruchtbarkeit, Langlebigkeit und Wiedergeburt verehrt.

Den Ägyptern galt der Waldrapp auch als Lichtbringer und Verkörperung des menschlichen Geistes. Er wurde Ach genannt. Bereits in den frühen Dynastien glaubte man, dass der Mensch nach seinem Tode als verklärter und vergöttlichter Ach in den Himmel auffahren und zu einem Stern werden würde. Die Gestalt des Waldrapps fand Eingang in die Hieroglyphenschrift.

Die erste ornithologische Beschreibung des Waldrapps erfolgte im Jahr 1557 durch den Schweizer Naturforscher Conrad Gessner. Er gab ihm den Namen “Corvus fylvaticus”. (Bild links)

Im 17. Jahrhundert wurden Waldrappe im Orient geschützt, da verschiedene Nomadenstämme glaubten, dass sie in ihrem metallisch schillernden Gefieder die Seelen der Verstorbenen davontragen würden. In Europa hingegen waren Waldrappe unter dem Namen „Schopfibis“ als Delikatesse sehr gefragt, als „Waldrapp“ galten sie als ornithologische Kostbarkeit. Jäger, Sammler und Trophäenjäger plünderten Nester, stahlen Jungtiere für Zoos und erlegten adulte Tiere, um sie dann zu Zwecken der Tierpräparation an Naturkundemuseen und Sammler zu verkaufen. In der Folge war der Waldrapp in der Schweiz bald schon leider ausgerottet.

In Thun starb Ende der 40er Jahre unverständlicherweise auch die ursprüngliche Flurbezeichnung, wo der vom Aussterben bedrohte Vogel einst gehaust und seine Runden gezogen hatte. Aus der Rappenfluh wurde die Rabenflue. Hingegen gibt es in anderen Regionen wie Rüeggisberg oder Oberhofen nach wie vor Orte mit der Bezeichnung Rappenfluh, welche an den ehemaligen Waldvogel erinnern.

Waltrapp/ Vogelflug

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