Rathaus Thun

Ältester Teil des Rathauses um 1530. Von der Aare aus gesehen.

Das Rathaus am Rathausplatz wird bereits in den Thuner Handvesten von 1264 erwähnt in Art. 3:  «Wir werden ein Richthaus bauen und darin zu Gericht sitzen nach den Rechten der Bürger». Das Gebäude, das mehrfach umgebaut und erweitert wurde, überstand im Laufe der Jahrhunderte Brände und bauliche Veränderungen und bestand ursprünglich aus zwei Häusern. Der eigentliche Rathausbetrieb befand sich im Ratssaal im 1 Stock, währenddessen sich im Ergeschoss bereits ab 1406 das grosse und kleine Kaufhaus in einer offenen Halle befanden. Daneben befand sich das Grossweibelhaus. Bereits im 14. Jahrhundert wurde Aareseitig ein Schlachthaus angebaut.

1585. Rathaus links mit Ratssaal im 1. Stock, davor die Tuchlaube. Rechts Grossweibelhaus mit Archivturm.


Wieso der Turm entstand

Ein Brand des ursprünglichen Gebäudes im 15. Jahrhundert erforderte einen Wiederaufbau. Die Ratsherren stifteten 1530 grosszügig je ein Fenster. Der Turm wurde 1585 angebaut, nachdem ein Dieb in die Gewölbe der Stadtkirche eingebrochen war und die mangels besserer Gelegenheit dort eingeschlossene Stadtkasse gestohlen hatte. Von da an verwahrte die Stadt ihr Geld hier. Der Turm, der bis 1762 einen Spitzhelm trug, beherbergt heute das Burgerarchiv. Illustration rechts von 1585: Links das eigentliche Rathaus mit dem Ratssaal im 1. Stock, im Untergeschoss die Markthallen, davor die Tuchlaube, rechts das Grossweibelhaus mit dem Archivturm.

Aus zwei Häusern wurde eins

Ein weiterer prägender Umbau erfolgte im Jahr 1685. Das Gebäude wurde um ein Stockwerk erhöht und mit dem danebenliegenden Grossweibelhaus und dem Archivturm zusammengefasst. Die beiden Gebäude erhielten einen gemeinsamen Dachstuhl und eine neue einheitliche Hauptfassade. Über der Ratsstube wurde eine Wohnung für den Stadtschreiber eingerichtet. An diese Arbeiten erinnern noch die beiden Wappentafeln an der Fassade. Die Arbeiten dauerten bis im Juni 1686. 1698 richtete Beat von Fischer von Bern im Ergeschoss eine Tuchmanufaktur ein, welche Wollstoffe herstellte und in der Tuchlaube feil geboten wurden.

Der Umbau von 1762 und das Rokoko

Der Umbau im Jahr 1762 hinterließ ein bleibendes architektonisches Erbe, insbesondere die wertvolle Rokoko-Ausstattung. Eichentüren mit reich verzierten Beschlägen, kunstvoll geschmiedete Geländer und aufwendige Wand- und Deckentäfelungen verliehen dem Gebäude einen Hauch von Eleganz und zeugen vom handwerklichen Können dieser Epoche. Diese Ausstattung ist bis heute ein prägendes Element des Rathauses und verleiht ihm seinen unverwechselbaren Charakter. Die Glocke im Uhrturm stammt aus dem 1876 abgebrochenen Berntor. Die von privater Initiavie 1785 gegründete Stadtbibliothek war von 1836 bis 1943 im Rathaus untergebracht. 1881 wurde zwischen zwischen dem Rathaus und dem Telegrafenbüro in der Freienhofgasse die erste Telefonverbindung auf Thuner Boden ausprobiert. Der im Jahr 1906 gegründete Thuner Löschzug hatte sein erste Feuerwehrmagazin hinter dem linken Torbogen des Rathauses. Damit die Feuerwehrmänner rund um die Uhr erreichbar waren, musste ihnen neben einer Telefonverbindung eine Zusatzglocke im Schlafzimmer installiert werden.

Wie das Rathaus seinen Glanz verlor

Metzger beim Schlachthaus hinter dem Rathaus

Leider hatte das 19. und das frühe 20. Jahrhundert allerdings wenig Sinn für den Wert des Rathauses. So führten die durch die Entwicklung der Stadt und der Technik bedingten Änderungen zu verständnislosen Eingriffen in den Baubestand. Die grosse Vorhalle im Erdgeschoss wurde zur Polizeigarage, das kleine Kaufhaus diente, in viele Räume unterteilt, dem Schlachthaus, das grosse wurde in ein Archiv verwandelt.

Zwischen die Ratssäle im 1. Obergeschoss war eine WC-Anlage eingeschoben; Wohnräume wurden notdürftig in Büros umgewandelt. Im ganzen Hause wurden die schönen Kachelöfen durch Eisenöfen ersetzt, die Tonplattenböden verschwanden unter Zementplättli und die eingelegten Holzböden unter Fischgratparkett. Die gekuppelten Fenster des 2. Stockes mussten Ende des 19. Jahrhunderts einfachen Fenstern weichen, sonst aber bewahrte die Platzfassade etwas von ihrer Würde, während die Aarefassade jedoch durch eine Unzahl beliebiger Fenster, durch hochgezogene Kamine und ungeflickte Risse einen jämmerlichen Eindruck machte.

Die Abfälle des hinter dem Rathaus befindlichen Schlachthofes wurden in die vorbeifliessende Aare gelassen, welche in Richtung Schwäbisbad flossen. Lydia Portmann beschrieb die Situation in ihrem Buch «Hofstettenvaganten» um 1930 so: «Das Wasser war an Schlachttagen rot von Blut. Gedärm, schwer und massig, in tieferen Wasserschichten schwebend, zog Schwärme gefrässiger Forellen an. Es wimmelte von Ratten an dieser Aareseite. Sie trippelten und huschten in die Keller der Häuser am Wasser und waren auch in den Wohnungen anzutreffen.» Auch verschob der viel zu grosse Anbau der Schlachthalle die Proportionen und vor den Fenstern des Stadtpräsidenten schrien die gestochenen Schweine.

Das verunstaltete Gebäude genügte aber auch den praktischen Anforderungen nicht mehr. Ohne Vorplatz mündeten die beiden Treppen in die Laube, dafür standen ab 1953 die ehemaligen Schlachthäuser leer. Der Stadtratssaal war zu klein und zu düster, der tiefe Gemeinderatssaal im hinteren Teil in ewige Dämmerung gehüllt. Die Einzelöfen brachten Russ und Staub in die Büros – die Gänge aber blieben kalt. Im ganzen Hause war kein Raum vorhanden, der sich zum Empfang von Gästen oder für andere repräsentative Zwecke geeignet hätte. Im Innern wirkte der äusserlich so grosszügige Bau eng und verwinkelt.​

Die Renovierung von 1963/64

Mit dem Neubau des Schlachthofs 1953, der die Funktionen des alten städtischen Schlachthauses übernahm, wurde der Weg frei für eine umfassende Renovierung des Rathauses. Die Bürger Thuns stimmten 1962 einem Kredit für den Umbau zu​. In den Jahren 1963/64 wurde das Rathaus vollständig modernisiert. Im Vordergrund stand dabei die Rückgewinnung des originalen Baubestandes. So sind die grossen ehemaligen Kaufhallen im Erdgeschoss wieder sichtbar. Das an das Rathaus angebaute Schlachthaus und Wachthaus wurden abgebrochen. Erhalten ist einzig das hinter dem Rathaus befindliche Waschaus.

Die Renovierung umfasste nicht nur strukturelle Verbesserungen, sondern auch die Wiederherstellung der historischen Substanz. Viele der im 19. Jahrhundert vorgenommenen Veränderungen wurden rückgängig gemacht, und das Gebäude erhielt seine barocke Pracht zurück. Besonders die Fassade, die Fenster und die Innenräume, wie der Stadtratssaal mit seiner Rokoko-Decke, wurden liebevoll restauriert. Auch moderne Einrichtungen wie eine Lüftungsanlage und eine neue Heizungsanlage wurden eingebaut​.

Plan Rathaus Thun vor und nach der Renovierung 1963/64
Plan Rathaus Thun vor und nach der Renovierung 1963/64

Quellen: Prospekt das Thuner Rathaus, Das Thuner Rathaus bis 1964, Die Renovation des Rathauses der Stadt Thun von Karl Keller, Stadtbaumeister, Thun SCHWEIZERISCHE BAUZEITUNG Sonderdruck aus dem 82. Jahrgang, Heft 41, 8. Oktober 1964, Thun – Geschichtliche Zusammenfassung von einst bis heute von Peter Küffer, «Hofstettenvaganten» von Lydia Portmann , 100 Jahre Telefon in Thun 1885-1985, Führer von Thun von Karl Keller, Diverse

 

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