Mühle und Mühleplatz Thun

Original Mehlsack der Mühle Thun ausgestellt in der Dittligmühle, LängenbühlFrüher wurde der Bereich des Mühleplatzes vor allem für verschiedene gewerbliche Tätigkeiten genutzt insbesondere durch die Wasserkraft der Mühleschleuse. Mit Hilfe von Riemen und Rädern konnte die Kraft des Wassers auf verschiedene Maschinen übertragen werden. Auf der linken Aareseite unterhalb der Sinnebrücke  zweigten gleich mehrere kleine Kanäle ab, verschwanden unter den Häusern und trieben dort mehrere kleinere Wasserräder für verschiedene Gewerbe an. Die Kanäle mündeten in ein Becken der Inneren Aare, wo auch Transportschiffe in Richtung Bern fuhren. Das Becken ist in der Zwischenzeit aufgefüllt zum Teil aus Bauschutt der ehemaligen Kaserne im Bälliz. Zum Gewerbe dort gehörte eine Hanfreibe, eine Knochenstampfe, eine Schleife und zwei Ölen (Grafik links von 1860). Heute erinnert nur noch der Name des Restaurant «Alte Oele» an den ursprünglichen Zweck des Gebäudes. 1.)

Die Geschichte der Thuner Mühle ist besonders interessant, weil es dem Müllermeister Adolf Lanzrein gelang, am traditionellen Mühlestandort mitten in der Stadt Thun eine leistungsfähige Industriemühle aufzubauen. 1863 und 1870 erwarb er die beiden schon bestehenden Mühlen, die er 1877 umbaute und modernisierte. 1879 kaufte er die angrenzende Sägerei mit den dazugehörenden Werkstätten und dem Gittersteg über die Aare ins Bälliz. 1887 liess er anstelle der Sägerei ein Wohn- und Direktionsgebäude und anstelle der beiden alten Mühlen ein grosses Mühlegebäude erstellen, das mit neuster Technik ausgestattet war. 1889 beschäftigte die Mühle Lanzrein 13 Angestellte und gehörte zu den drei leistungsfähigsten Mühlen im Kanton Bern.

Originalrechnung von Adolf Lanzrein, Müller, vom 20. Juli 1896Nach Adolf Lanzreins Tod wurde die Firma vorerst unter dem Namen Lanzrein’s Söhne weitergeführt. 1926 fusionierte sie mit der 1900 gegründeten Firma Naef/Schneider und Cie. zur Mühlen AG, welche 1928 den Standort Thun teilweise elektrifizierte. Mit der Elektrifizierung verlor die Lage am Wasser ihre Bedeutung. Für das Mühleunternehmen, das auch im 20. Jahrhundert florierte, wurde der Standort mitten in der Stadt zum Nachteil. Das Gebiet rundum war überbaut, eine räumliche Expansion nicht möglich.

Die Stadt jedoch war an diesem zentralen Standort interessiert und stufte das Areal 1963 als Freifläche ein. Damit konnte die Mühle hier längerfristig nicht mehr produzieren und die Stadt war verpflichtet, das Gebiet zu übernehmen. 1976 wollte sie das Areal erwerben. Weil der Gemeinderat dieses Geschäft als ausserordentlich wichtig erachtete, wollte er den Kauf ausdrücklich vom Stimmvolk absegnen lassen, obwohl er rechtlich nicht dazu verpflichtet war. Damit hatte er zu hoch gepokert: Die Stimmberechtigten lehnten am 26.9.1976 den Kauf knapp ab. Die Mühlen AG verlangte nun von der Stadt die Übernahme gegen volle Entschädigung. Die Kontrahenten einigten sich schliesslich aussergerichtlich, und die Stadt kaufte das Mühleareal. Allerdings musste sie 100000 Franken mehr bezahlen, als der verworfene Kaufvertrag ein Jahr zuvor vorgesehen hatte.

Als 1982 die Thuner Mühle stillgelegt wurde, entstand mitten in der Stadt eine Industriebrache. Es folgte ein gutes Jahrzehnt kulturelle Zwischennutzung, (Siehe Galerie weiter unten) Planung und Streit um die zukünftige Nutzung dieses attraktiven Standortes am Wasser. 1985 sprachen sich die Thuner Stimmbürgerinnen und -bürger für einen Totalabbruch der Mühle aus, entgegen der Empfehlung der Stadtbehörden, welche einen teilweisen Erhalt der industriegeschichtlich bedeutsamen Gebäude bevorzugt hätten. 1989 fuhren die Baumaschinen auf, um die Mühlegebäude abzubrechen; 1993 begann die Sanierung des Platzes. 1994 wurde er offiziell eingeweiht, ein Jahr später stand hier schliesslich auch die monumentale Plastik von Schang Hutter, die auch Bezug auf den ehemaligen Mühlekanal und den Turbinenschacht nimmt. 2.) Heute erinnert nur noch der Name «Mühleplatz» daran, dass an dieser Stelle jahrhundertelang Mühlen in Betrieb waren. Zahlreiche Kaffees und Restaurants, Bäume und Abtreppungen gegen das Aareufer hin geben dem Platz heute sein unverwechselbares Gesicht.

1.) Hydrologische Exkursionen in der Schweiz, Region Bern
2.) Vollständiger Text und weitere Informationen zur Geschichte der Mühle in: «Gebändigt und genutzt: Die Stadt Thun und das Wasser in den letzten 300 Jahren» (ab Seite 21) von Anne Bähler.

In der Zeit von 1981 bis zum Abbruch im Jahr 1989 war die Mühle eine Industriebrache. Während dieser Zeit gab es im Innern eine sogenannte Zwischennutzung. Zahlreiche Künstler und auch Gewerbetreibende nutzten die Räumlichkeiten für diverse Veranstaltungen, Ausstellungen, Ateliers, Theater und Konzerte. Ein Querschnitt durch diese Zeit sowie spannende Einblicke in das innere der Mühle geben folgende Bilder des Fotografen Christian Helmle:

Illegale Besetzung der Mühle
In der Nacht vom 18. auf den 19. Dezember 1987 wurde die alte Mühle von rund 500 Menschen besetzt. In Thun rechnete man mit dem Schlimmsten: Die Polizei und Feuerwehr warteten auf Pikett; die Innenstadt Genossenschaft Thun (IGT) riet ihren Mitgliedern, wertvolle Gegenstände aus den Schaufenstern zu räumen und in Bern harrten Polizeigrenadiere der Dinge, die da kamen. Doch alles kam anders: Trotz dem Aufeinandertreffen von Gemeinderäten, Organsiatoren und «Szene»-Leuten blieb die Aktion friedlich. Der vor Ort anwesende und für Kultur zuständige Gemeinderat Peter Wyss meinte zu den Forderungen nach mehr Raum für Kultur: «Ich weiss dass ihr Platz braucht, aber ich wüsste nicht woher nehmen». Kurz nach 22 Uhr wurde die Party mit der Gruppe «Poison Rain» (Gift-Regen), einer Interlakner Mundart-Rock-Band, gestartet. Als Hautakt spielte die Berner Rockband Züri West mit Kuno Lauener. Positiv auf die Stimmung in und um die Mühle hat sich sicher auch die Tatsache ausgewirkt, dass der Gemeinderat beschlossen hat, keine Polizei auf dem Gelände zu postieren.
In der Folge entstanden an verschiedenen Orten in der Stadt temporäre Kulturzentren: das Kühlhaus, der Kulturbahnhof, das Scala und das Alpenrösli.
Quelle: TT, 19.12.1987, Diverse.

2 Gedanken zu „Mühle und Mühleplatz Thun

  • 26. März 2024 um 17:47
    Permalink

    Kann mir jemand mitteilen, wann und in welcher Form der persönliche Konkurs von Adolf Lanzrein 1872-1951, der langjährige Müller von Thun und Erbauer des Parkhotel Gunten stattfand ?

    Vielen Dank !

    Antwort
  • 7. September 2019 um 18:47
    Permalink

    ewig schade, dass dieses wertvolle Gebäude abgerissen wurd.

    Antwort

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