Goethe in Thun

“Wolfgang von Goethe, portrait as a young man with facsimile signature, after painting by G.O. May. Profile. German poet, 1779

Johann Wolfgang Goethe hat die Schweiz dreimal besucht: 1775 auf Einladung der Adeligen Christian und Leopold Stollberg und des Grafen Haugwitz. Auf seiner zweiten Schweizer Reise, im Jahre 1779, stattete er in Begleitung des Herzogs Karl August von Sachsen-Weimar dem Berner Oberland einen Besuch ab.

Die zweite Reise unternahm der damals Dreissigjährige von Basel aus über den Jura nach Bern, von wo er einen Abstecher ins Berner Oberland machte. Diese Reise gehörte zu den glücklichsten Perioden von Goethes Leben. Goethe hat die Natur besonders intensiv erlebt.

An einem Freitag, dem 8. Oktober 1779 kam die Reisegruppe von Bern her kommend im beschaulichen und der damals rund 1500 Seelen und nicht mehr als 450 Häusern umfassenden Stadt Thun an. Die Stadt kam in damaligen Beschreibungen nicht gut weg. Eng sei sie, masslos mit Nebengebäuden und irgendwelchen Buden überstellt, dreckig, lärmig, voller Tiere, ungepflegt, unhygienisch. Ausgerechnet bei Goethes offensichtlicher Abstiege, direkt an der Gerberngasse, verbreitete sich ein übler Geruch. Ausserdem wimmelte es in den Gassen von Ratten. Ferien machte in dieser Zeit in Thun niemand. Die Stadt diente lediglich als Etappenort, als Übernachtungsmöglichkeit.

Damals gab es auch noch keine Eisenbahn und die Reise per Kutsche von Bern nach Thun auf holprigen und staubigen Strassen durch das Aaretal dauerte mehrere Stunden. In Thun bezog die Reisegesellsschaft Unterkunft im «Schwarzen Bär». Ein Gasthof mit dieser Bezeichnung ist nicht bekannt. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit handelte es sich aber um die «Wirtschaft zum Bären» beim heutigen Sternenplatz. Folgende Gründe sprechen dafür:

  • Die Bezeichnung «Schwarzer Bär» stammt aus den Tagebüchern von Goethe, die teilweise durch dessen Diener Philipp Seidel geschrieben wurden und sind bezüglich Ortsnamen unpräzis, weil keine schriftlichen Grundlagen, wie etwa Prospekte bestanden.
  • Sicher ist aber, dass Goethe und seine Entourage die Pferde in der Unterkunft belassen haben, während sie auf der 5-tägigen Oberland-Tour unterwegs waren. Es gab 1779 in Thun nur drei grössere Gasthöfe mit genug Platz für mehrere Personen und dessen Pferde: Das Hotel Weisses Kreuz, der Freienhof und eben der Bären. Der Freienhof war damals übrigens noch bis ins Jahr 1781 eine Brandruine.
  • Auf einem alten Aquarell von Johann Knechtenhofer aus dem Jahr 1810 ist deutlich das geschnitzte Wirtshausschild vom damaligen Bären zu erkennen, welches sehr dunkel oder sogar schwarz gefärbt war und so zu der Interpretation «Schwarzer Bär» geführt haben muss.

Beschriftung auf dem Bild: “1810 Kleinthöri Schwein- und ein Theil des Viehmarktes Wirthschaft zum Bären.”

Das Gebäude des ehemaligen Gasthauses auf dem Sternenplatz steht übrigens immer noch und das alte Wirtshausschild mit dem Bären hängt bis heute an der Fassade. Im Haus werden heute Frauen- und Brautkleider verkauft. Im Gegensatz zu anderen Orten, wo der Aufenthaltsort von Goethe jeweils vermarktet wurde, gibt es in Thun weder eine Goethestrasse, einen Goetheplatz oder ein Goethehaus. Nicht mal eine Plakette an der Hausfassade erinnert, dass dort einmal der berühmteste Dichter der Welt übernachtete. Vielleicht ja dann im Jahr 2029, wo sich das Ereignis zum 250 mal jähren wird.

Vom alten Kirchhof in Thun genoss der prominente Tourist die prächtige Rundsicht über die Stadt und den See. Sicherlich schaute er damals vor allem in Richtung Alpen, zu denen die Reise ja bereits am nächsten Morgen weiterging.

«Wir nahmen ein Frühstück statt des Mitagessens und ritten danach nach Thun, wo wir bei Zeiten anlangten um noch die schöne Aussicht vom Kirchhof auf den See zu sehen und an der Aar bis gegen den See zu spazieren. Wir machten mit einem Bürger Bekanntschaft (Peter Kocher), der uns geleitete, drauf unser Schiffer war und künftig unser Geleitsman seyn wird.» (Aus dem Brief an Frau von Stein in Lauterbrunnen vom 8.09.1979)

So hat Goethe 1779 den Ausblick vom alten Thuner Kirchhof aus genossen. Marquard Wocher, der mit Goethe befreundet war, hat diesen Umrissstich im Jahre 1804 geschaffen. (Bild: Besitz der Kunstsammlung der Stadt Thun.)

Am Samstag, den 9. Oktober musste die Reisegruppe bereits früh am Morgen aufstehen. Der einzige Weg von Thun ins Berner Oberland führte damals mit Hilfe von flachen Ruderbooten, sogenannten Weidlinge, über den Thunersee; es gab noch keine Dampfschiffe. Die Boote starteten jeweils morgens um 6.00 Uhr vor dem ehemaligen Zehntenhaus in Hofstetten (beim heutigen Beau Rivage) und fuhren Richtung Unterseen. Die Ruderfahrt dauerte ca. 4.5 bis 5 Stunden, je nach Wetter. Es gab verschiedene Ausführungen der Weidlinge mit jeweils 2, 3 oder mehr Ruderern, je nach Budget. Die Boote waren teilweise mit einem Zeltdach überdacht oder mit einem Segel ausgestattet. Ausserdem gab es an Bord Tischchen und Stühle sowie eine Verpflegung. (1)

«Heute Sonnabend den 9ten gingen wir früh von Thun ab zu Schiff über den See. Die Nebel fielen wann wir unserer Landessprache sagen es regnete, die Gipfel der Berge waren eingehüllt wir sassen in einem bedekten Schiff ich las den Gesang aus Bodmer Homer. Gegen Zwölfe kamen in Untersewen an assen eine grosse Forelle, examirten einen Augenarzt wovon ich den Zettel hier beischliesse und fuhren auf einem engen Leiterwägelgen zusammen gepackt ab gingen aber bald zu Fusse durch das Thal bis nach Lauterbrunn…» Thun, 9. Oktober 1979

Auf folgendem Ausschnitt aus dem Wocherpanorama von Marquard Wocher aus dem Jahr 1814 sieht deutlich die Weidlinge bei der Ein- resp. Ausfahrt, links der Schwarze Turm:

Zu Mittag gönnte sich dann Goethe im Stadthaus Unterseen eine Forelle an saurer Sauce. (2)

Am 10. Oktober 1779 schreibt Goethe im hinteren Lauterbrunnental in sein Tagebuch: «Wir assen auf Steinbergs Alp. Ammerten war unter uns wir sahens nicht. Es ward kühl die Wolcken wechselten, wir assen und trancken und feyerten sehr lustig saturnalien mit den Knechten und Führern. Philipp wurde vexiert dass er heut früh sehr viel Käs suppe gessen habe. Es war ein närrisches Original von Thun mit den wir herauf geschl. hatten.» (3)

Goethe schreibt an seinen Freund und Pfarrer Johann Lavater: «…Bisher sind wir glücklich gereist, bete auch dass uns die himmlichen Wolcken günstig bleiben, und wir an allen Gefahren vorüber gehn.»

Quellen: 1: Thun und seine Umgebungen 1840, Seite 99.
2: Jenaer Tischgeschichten: Eine kulinarische Reise durch fünf Jahrhunderte,
3: TT, 20.03.1982, Jürg Spori
Tourismusmuseum Unterseen André Dähler, Eidg. Volkszählungen,
Diverse

Weidling mit Segel, Thunersee ca. 1890.

Ein Weidling ist ein Flachboot, das mit Stehrudern vorwärts gerudert wird. Er ist in der Regel 10 Meter lang und hat ein Gewicht von etwa 320 Kilogramm. Gefertigt wurde er früher aus Holz. Der Weidling wird traditionell im tiefen Wasser mit einem Stehruder (wie bei der venedischen Gondel) oder zwei Stehrudern (je eines hinten und eines vorne gegenüberliegend), oder zwei gekreuzten Stehrudern hinten vorwärtsgerudert. Dieser Bootstyp ist mit rund 5000 Jahren wohl einer der ältesten Schiffsbautypen der Welt und wurde auch von den Kelten benutzt.

2 Gedanken zu „Goethe in Thun

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