Die Geschichte der Chartreuse Hünibach

Kapitel 1 – Die Kartause

Niklaus Friedrich von Mülinen vor seinem Landsitz «Chartreuse» am Thunersee, Oel auf Leinwand David Sulzer zugeschrieben um 1820, Bernisches Historisches Museum

Das Bächigut mit der Kartause wurde vom Schultheissen Niklaus Friedrich von Mülinen um 1807 gekauft. Als Geschichtsforscher kannte er die wechselvollen Schicksale des ganzen Besitzes und nannte deshalb die prächtig gelegene Campagne, das Bächi mit der Kartause, zur Erinnerung an den einstigen Klosterbesitz der Kartäuser von Thorberg, den er im Jahre 1819 zu Wohnzwecken umgestaltete «La Chartreuse». Unter anderem hat er den markanten Turm anbauen lassen. Ab 1821 diente ihm die Kartause als Landsitz. Der Staatsmann verband mit der Anspielung auf den Orden wohl auch die Hoffnung, hier eine Stätte der Stille und der Gelehrsamkeit zu errichten. Den Geist des Mittelalters atmete auch die neugotische, an Sakralbauten gemahnende Architektur des Landhauses. Im Turm errichtete er die mit über 6000 gedruckten Werken damals  umfassenste private Bibliothek der Schweiz. Während 10 Jahren empfing von Mülinen alles was Rang und Namen hatte in der Chartreuse. Sie war ein Fixpunkt der europäischen Politik und Kultur.

1831 hat von Mülinen das Anwesen aus gesundheitlichen und finanziellen Gründen verkauft, und zwar an den Pariser Bankier Rudolf Emil Adolf de Rougemont. Dessen Bruder, auch Bankier, hat übrigens 6 Jahre später das Schloss Schadau gekauft. Der neue Eigentümer der „Chartreuse“ fügte grosse Neubauten von Wohn- und Wirtschaftsgebäuden hinzu.

1844 ist de Rougement gestorben und hat das Anwesen seiner Frau überlassen. Diese hat bald darauf den Baron Albert Emil Otto von Parpart geheiratet. Die Chartreuse war den beiden etwas zu bescheiden, darum haben sie ab 1861 das Schloss Hünegg gebaut. Das Anwesen blieb aber in Ihrem Besitz und wurde nach Ihrem Tod 1883 mehrfach versteigert und nach einigen Wirren 1890 von Johann Gerber und seiner Frau Mathilde Flachs Gerber als zukünftiger Alterssitz für 250’000 Franken gekauft. Er starb aber unerwartet im Mai 1895 und das Anwesen wurde im Januar 1896 an den deutschen Adligen Baron Moritz Kurt von Zedtwitz für 400’000 Franken verkauft.

 

Kapitel 2 – Der Segelunfall von Baron Zedtwitz

Von Zedtwitz hatte 1895 Mary Elizabeth Caldwell, eine reiche Amerikanerin, geheiratet. Zedtwitz und seine Gemahlin erwarben das Gut «Chartreuse» in der Absicht, am Thunersee ein Schloss bauen zu lassen. Man kam überein, das Bauvorhaben oberhalb der alten Chartreuse am Hang des Hügels vor dem Bächihölzchen zu verwirklichen. Der Baron plante sogar im Schlosspark einen Hafen anzulegen und diesen mit einem Kanal mit dem Thunersee zu verbinden. Die Bauleitung wurde Gabriel Seidl übertragen, dem begabtesten und gesuchtesten süddeutschen Baumeister seiner Zeit. Sämtliche Rohbauarbeiten wurden von Johann Frutiger (1848-1913), Baumeister in Oberhofen und Gründer der heutigen Frutiger AG, ausgeführt. Die alte Kartause wurde zunächst als Baubüro verwendet. Die Bauarbeiten begannen im Jahr 1896. Im gleichen Jahr wurde ihr Sohn Waldemar geboren.

Freiherr von Zedtwitz verreiste im August gleichen Jahres nach England, um sich mit seiner Jacht «Isolde» (linkes Bild) an der grossen Regatta in Southsea zu beteiligen, an der auch die Jacht «Meteor» des letzten Deutschen Kaisers, Wilhelm II. startete. Bei diesem Rennen wurde Zedtwitz Opfer eines Unfalls, als einige Jachten eng aneinander liefen und die «Isolde» des Freiherrn von Zedtwitz vom Bugsprit, der «Meteor» stark beschädigt wurde. Ein herunterfallender Mast verwundete Zedtwitz schwer am Kopf; er starb, ehe die Dampfjacht «Bohemian», wohin er gebracht worden war, die Insel Wight erreichte. Die englischen Zeitungen behandelten das Ereignis in Leitartikeln. Königin Viktoria von England schickte ein Telegramm, in dem sie ihr Bedauern über das Unglück ausdrückte.

 

Kapitel 3 – Das einsame Prunkschloss

Mary Elizabeth Breckenridge Caldwell—Baroness Von Zedtwitz 1905, Foto von J. Moegle, Bestand aus Schloss Thun, Historisches MuesumDie Bestürzung war gross, als die Kunde vom Tod des Bauherrn in Thun eintraf. Die Nachricht erschütterte Frau von Zedtwitz (rechtes Bild) derart, dass sie monatelang unzugänglich blieb. Der Bau der neuen «Chartreuse» wurde vorerst unterbrochen. Am 13. November 1896 kam es an einer Sitzung im Freienhof in Thun zum Bruch zwischen der Freifrau und dem Archtekten Seidl; der Bau wurde eingestellt.

Erst 1901 wurden die Arbeiten wieder aufgenommen und durch den Architekten Ch. Mewös aus Paris fortgesetzt. Es ist Mewös anzuerkennen, dass er Seidls Entwurf nur unwesentlich abgeändert hat. Dagegen ist es leider nicht gelungen, den alten Landsitz des Schultheissen von Mülinen der Nachwelt zu erhalten; schon zu Lebzeiten des Freiherrn von Zedtwitz hatte dessen Gemahlin den Wunsch ausgedrückt, das ehrwürdige Gebäude abreissen zu lassen. Der Abbruch geschah 1901 durch Baumeister Johann Frutiger. Am 11. April wurde der Turm, in dem sich einst die Bibliothek Niklaus von Mülinen befunden hatte, mit Dynamit gesprengt. Der Ausbau des neuen Schlosses und die Anlage des umgestalteten Parks wurden 1902 beendigt. Freifrau von Zedtwitz pflegte mit ihrem Sohn Waldemar die Sommermonate in der Chartreuse zu verbringen.

Im Dezember 1910 stirbt auch die Baronin nur 45 jährig. Das Schloss geht in den Besitz ihres 15 jährigen Sohnes Waldemar über. Dieser wird wohl von seiner Familie in Deutschland grossgezogen, das heisst das Schloss steht leer und wurde insgesamt nur während 8 Jahren und (abgesehen des Personals) von lediglich zwei Menschen bewohnt. Nach dem ersten Weltkrieg, wo er an der Schlacht von Verdun teilgenommen haben soll, emigriert Waldemar von Zedtwitz in die USA. Nur so kann er das Erbe seiner Mutter antreten. Er wird ein professioneller Kartenspieler.

 

Kapitel 4 – Die Rache der Idyll AG

Am 12. Juni 1933 verkauft Baron Waldemar von Zedtwitz seinen gesamten Besitz zum Preis von Fr. 2’500’000.- der «Immobiliengesellschaft Chartreuse». Die neue Eigentümerin, bezweckte «den Ankauf und Verkauf der Schlossbesitzung in der Gemeinde Hilterfingen und die Verwaltung der Liegenschaft sowie deren Parzellierung und Liquidation, die Anlage von Strassen und Wegen, den Abschluss von Kauf- und Pachtverträgen sowie die Vornahme aller Rechtshandlungen, welche mit der Schlossbesitzung Chartreuse zusammenhängen». Am 16. Mai 1936 ist der obere Teil der Chartreuse-Besitzung, also das Schloss mit der Terrasse und dem Wald, an die Idyll AG verkauft worden. Kurz danach setzt ein Bauboom ein. Der Schlosspark wird mit Einfamilienhäusern zugebaut. Die Bächimattpromenade kann vom Uferschutzverband 1936 für die Allgemeinheit gerettet werden. 1934 pachtet Hedwig Müller die ehemlige Kutschengarage des Schlosses und eröffnet dort die erste Gartenbauschule für Mädchen.

Im Spätherbst 1936 plante die Idyll AG, Genf, den Wald zu Bauzwecken total abzuholzen. Dank dem Eingreifen von Gemeindepräsident und  einem Kantonspolizisten konnte die Tat verhindert werden. Im Anzeiger für den Amtsbezirk Thun vom 25. Oktober 1940 gab die Idyll AG den «teilweisen Abbruch des mittleren Teils des Schlosses Chartreuse und Umbau der verbleibenden Seitenflügel in zwei voneinander unabhängige Objekte» bekannt. Als Rache, dass die Idyll AG das Wäldchen nicht abholzen durfte, hat sie am 8. Januar 1941 den gesamten Mittelbau des Schlosses, ohne den Gemeinderat von Hilterfingen zu orientieren, zum grossen Argernis der Bevölkerung gesprengt. Während Jahren bleiben aber die beiden Flügel stehen und werden wieder bewohnt.
1965 wurden die Schlossruinen als Abbruchobjekt durch die Luftschutztruppen abgeräumt. Halt, nicht ganz alle. Bis heute steht an der Staatsstrasse bei der Einmündung der Mülinenstrasse ein Rest des ursprünglichen Tores (Bild links) der Schlossparks. Man sieht in kaum, er ist fast vollständig verdeckt von Büschen, und doch erinnert er uns an das ehemalige Schloss. Ausserdem weisen in Hünibach noch zahreiche Wege wie Mülinenstrasse, Schlossweg, Parkweg, Chartreusestrasse, Zedtwitzweg oder Rougemontweg sowie natürlich die Busstation «Chartreuse» an die Zeiten des ehemaligen Schlosses.

Quellen: Historisches Lexikon der Schweiz, „La Chartreuse“ von Dr. Hans Gustav Keller, Landsitz „La Chartreuse“ von Paul Mani, Diverse

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2 Gedanken zu „Die Geschichte der Chartreuse Hünibach

  • 25. November 2021 um 17:10
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    Das drittletzte Bild zeigt das Schloss Hünegg und nicht die Chartreuse!

    Antwort
    • 25. November 2021 um 17:31
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      Guten Tag Herr Sauser – Sie haben recht, man sieht es auf den zweiten Blick. Besten Dank für den Hinweis. Habe das Bild ersetzt. Schöner Abend. Thomas Müller

      Antwort

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