Bahnhofplatz Thun und Schiffskanal
Mit der Eröffnung des neuen Bahnhofs Thun 1923 wurde auch der Platz davor, der Bahnhofplatz, völlig neu gestaltet. Nachdem das Aarefeld bisher eher ein bedeutungsloses Aussenquartier war, befanden sich die Blechwarenfabrik Hoffmann, das Aarefeldschulhaus sowie die Kapelle einer Freikirche nun auf einmal mitten im Zentrum einer rasch wachsenden Stadt. Die Menschen schlenderten über die neu gestaltete Bahnhofstrasse und die neu erstellte Bahnhofbrücke in die Innenstadt. Eine elektrische Strassenbahn fuhr Richtung Steffisburg oder Interlaken, Kutschen warteten auf gutbetuchte Kundschaft, die sie in ihre Hotels fuhren. 1927 wurde der staubige Bahnhofplatz, zusammen mit dem Bälliz und der Bahnhofstrasse, asphaltiert.
Die Gäste, die mit dem Schiff einen Ausflug auf dem See machen wollten, mussten sich allerdings noch lange in Geduld üben. Rund einen halben Kilometer mussten sie ihr Gepäck bis zur Schiffstation Scherzligen tragen, wo die Dampfschiffe für den weiteren Ausflug parat standen. Zweimal – in einer Gemeindeversammlung am 16. Dezember 1916 und an der Urne am 30. September 1923, lehnen die Stimmbürger Kanal-Projekte ab. Zu teuer und unrentabel sei der Bau des Schiffskanals. Den Gewerbetreibenden ging es ausserdem wohl auch darum, die Reisenden noch etwas länger in der Stadt Thun zu „behalten“. Erst am 14. September 1924 sichern die Thuner die geforderten Leistungen an die Finanzierung des Schifffahrtskanals zu. Ein grosser Teil des Aushubmaterials wurde mit einer eigens dafür erstellten Transportbahn zur Entsumpfung beim heutigen Strandbad verwendet. Am 17. Juni 1925 fuhr die «Bubenberg» als erstes Schiff probeweise durch den Kanal. Das Dampfschiff streifte allerdings leicht den Grund, was eine weitere Ausbaggerung notwendig machte. Erst am 26. Juni 1925, also rund zwei Jahre nach der Eröffnung des neuen Bahnhofes, wird der Schifffahrtskanal dem Betrieb übergeben. Leider musste für den Bau des Kanals auch das für seine Kegelbahn und Gartenfeste bekannte Restaurant «Beau-Rivage» am damaligen Scherzligweg abgebrochen werden (nicht zu verwechseln mit dem Hotel Beau Rivage an der Hofstettenstrasse).
Das markanteste Gebäude entlang des Schiffskanals war zweifellos die Villa Rosenau mit ihrem Aussichtsturm. Sie gehörte zu einer ganzen Reihe von repräsentativen Wohngebäuden, die von Auswärtigen im Gebiet des unteren Aarebeckens errichtet wurden, wie zum Beispiel die Villa von Graffenried (1880 abgebrochen) und die Villa Julia auf den Aareinseln; oder das Panoramahaus (Brand und Abbruch 1989). Der markante, mit Efeu umrankte Turm der Villa Rosenau stand an der Seestrasse vis-à-vis des Bahnhofbuffethaus des damaligen Bahnhof Scherzligen. Der Turm war ein typisches Stilelement des oberitalienischen Villenbaus. Offensichtlich ermöglichte er den Blick auf den See und das Bergpanorama. Erbaut wird die Rosenau durch den Dresdener Architekten Richard Adolf Neisse im Jahr 1873. Das Land hat er von der damaligen Baugesellschaft Thun erworben, die sich die Erschliessung, Parzellierung und Bebauung des ganzen Seefeldes vorgenommen hat und im gleichen Jahr auf der anderen Aareseite mit dem Bau des Thunerhofs beginnt. 1901 übernehmen die drei Söhne von Architekt Neisse das Haus Rosenau, das wohl vor allem als Sommerresidenz diente. Nach zahlreichen Besitzerwechseln geht das Haus an die Einwohnergemeinde Thun. Diese verkauft es dann 1952 an den Konsumverein Thun-Steffisburg. Der Abbruch erfolgt mit dem Neubau der Coop-Tankstelle im Jahr 1958. Da der starke Efeubewuchs die Abbrucharbeiten behinderte, wurde das Efeu angezündet. Das Feuer griff jedoch auf das Dach des Turmes über, so dass der Löschzug alarmiert werden musste. Die Turmbalken sind versengt, aber die Efeuranken umhüllten des Turm immer noch. Heute befindet sich im Gebäude an der ehemaligen Stelle unter anderem das Kulturzentrum AkuT.
Um 1910 tauchten die ersten Motordroschken oder «Taxameter» auf, die die alten Kutschen allmählich vom Bahnhofsplatz verdrängten. 1970 wurde das Kopfsteinpflaster im Bereich der durchgehenden Bahnhofsstrasse asphaltiert und mit Mitte- und Seitenlinien markiert. Der urprüngliche Charakter eines zusammenhängenden Bahnhofplatzes ging so verloren. 1991 stimmten die Thunerinnen und Thuner dem Überbauungsplan Aarefeld zu. Das Aarefeldschulhaus wurde 1999 abgebrochen um der Errichtung des Aarefeldplatzes sowie Geschäften (Manor) und Wohnungen Platz zu machen. Dieser neu geschaffene Platz sollte dabei auch zu einer Erweiterung des bestehenden Bahnhofplatzes beitragen; mehr Raum sollte geschaffen werden. Allerdings wird das Bild des Bahnhofplatzes nach wie vor durch wartende Busse und einen regen Durchfahrtsverkehr geprägt, was ein wirkliches urbanes Raumgefühl verunmöglicht. Diese und weitere Situationen am und um den Bahnhofplatz wird die Stadt noch lange beschäftigen und vor schwierigen Herausforderungen stellen. So gehts möglicherweise weiter
Quellen: TT 06.02.1987, Stadtentwicklung Aarefeld SIA 1989, Oberländer Tagblatt, 28.01.1958, TT 28.07.2020, Diverse
Zum Bild „Scherzligstrasse“ (heute Seestrasse)
Dies ist ein Zug der Thunerseebahn, unterwegs zwischen Leissigen und der Ausweichstelle Krattighalde. An dieser Stelle unterquert heute die Strasse Spiez- Interlaken die Bahnlinie.
Bild „Bahnhofplatz 1972 3 Bahnhofplatz Thun“ mit den beiden Frauen auf dem Fussgängerstreifen stammt eher vom Ende der 1970-er Jahre (vielleicht um 1980 herum). Im Hintergrund links parkiert ein silberner VW Golf. Erstzulassung dieses Modells war 1974, ausserdem sieht das Auto auch nicht brandneu aus (soweit ich das auf diesem Bild beurteilen kann). Die Mode dieser beiden Frauen entspricht eher den späten 70-er.
Ganz toll die vielen Fotos, von denen ich viele noch nie gesehen habe.
Darf ich dich auf zwei Kleinigkeiten aufmerksam machen?
1. Bahnhofplatz Thun (14) Schiffländte Thun, Zeppelin „Graf Zeppelin” 1930.
Es handelt sich nicht um den Zeppelin, sondern um einen Beobachtungsballon (Fesselballon) der Schweizer Armee. Das Schlossmuseum hat Bilder von solchen Ballons.
2. Bahnhofplatz 1942 Bahnhofplatz Thun.
Die Form der Autos deutet eher auf Ende der 1950-er Jahre hin!